*magdalena schaffrin

Von der Masse zur Muße – Zeit und bewusster(er) Konsum

Philosophie

Der Begriff Luxus wird im Duden mit „kostspieliger, verschwenderischer, den normalen Rahmen (der Lebenshaltung oder ähnlicher) übersteigender, nicht notwendiger, nur zum Vergnügen betriebener Aufwand“ beschrieben. Heute scheint die Erfüllung von Luxus in erster Linie mit Reichtum zusammenzuhängen, denn wer Geld hat, kann sich genau dieses leisten, den verschwenderischen Aufwand. Daran liegt es wohl, dass viele Menschen nach geldwertem Reichtum streben und dafür andere Reichtümer ihres Lebens hintenanstellen.
Zu diesen Reichtümern gehört Zeit; Zeit ist eines der kostbarsten Güter in unserer Gesellschaft. Zeit zu haben für die Dinge, die nicht erledigt werden müssen, wie Arbeit oder andere Verpflichtungen, sondern Zeit für alles Freiwillige, seine persönlichen Beziehungen, Freundschaften, Reisen. Zeit zum Lesen, zur Weiterbildung und Diskussion oder für ehrenamtliches Engagement oder einfach Zeit zu haben für gar nichts. Zeit für Muße. Nach Robert und Edward Skidelsky ist Muße ein Schlüssel zum guten Leben. In ihrem Buch „Wie viel ist genug?“ beschreiben sie noch weitere Basisgüter, die Grundlage für ein gutes Leben bilden. Doch wie erreichen wir das gute Leben für alle?
Man könnte meinen, dass wir in den Industriegesellschaften bereits weite Teile des guten Lebens verwirklicht haben, denn wir haben Gesundheitssysteme, freiheitlich orientierte politische Systeme, Frieden und genug Reichtum, um uns Muße zu gönnen. Allerdings machen wir davon wenig Gebrauch, denn wir verbringen unsere Zeit zum Großteil mit Arbeit, um Geld zu verdienen und dieses in Produkte zu investieren. Konsum ist zum Lebensinhalt und -ziel geworden, wir verwirklichen nicht schon das gute Leben, sondern uns selbst durch das Kaufen von Dingen oder Dienstleistungen. Wie Süchtige streben wir nach dem immer neuen Produkt, um die kurze Befriedigung und Glücksmomente des Kaufens zu erleben.

Fast Fashion

Sinnbildlich für diesen Lebensstil steht die „Fast Fashion“, die der Formel folgt: immer mehr Mode in immer kürzerer Zeit zu immer geringeren Preisen zu verkaufen. War Designermode lange Zeit nur den besserverdienenden Kundengruppen zugänglich und damit exklusiv und begrenzt, hat die „Fast Fashion“ in den 1980er Jahren eine Demokratisierung der Mode eingeleitet, indem die Looks der Laufstege kopiert und in weniger guter Qualität zu günstigeren Preisen verkauft wurden. Erst dadurch wurde Mode für die breite Masse zugänglich. Ein weiterer Aspekt von „Fast Fashion“ sind die schneller gewordenen Kollektionsrhythmen. Wenn Designer ursprünglich zwei Kollektionen im Jahr herausgebracht haben, die Frühjahr/Sommer- und die Herbst/Winterkollektion, sind es inzwischen bis zu zwölf geworden. Ziel ist es, jede Woche neue Produkte in den Läden zu präsentieren, so dass die Kundinnen und Kunden ständig gereizt werden sich neu einzukleiden. Befeuert wird der Konsum durch die immer präsente Werbung, die neue Bedürfnisse weckt. Mit dieser Entwicklung hat der Konsum von Kleidung weiter zugenommen.
Und sie ist eine preisgetriebene. Vor allem durch die großen Erfolge und Verbreitung der „Fast Fashion“ ist Kleidung in den letzten 50 Jahren billiger geworden. Da die reichen Gesellschaften dem Konsum verfallen sind und immer mehr Kleidung immer schneller zu immer geringeren Preisen kaufen, wird der Preisdruck nach unten weitergereicht. Das Ausmaß der Probleme, die dadurch in den Produktionsländern entstehen, ist so verheerend, da immer mehr Menschen in den Konsumgesellschaften es als normal empfinden, jede Woche für ein paar Euro neue Kleidung zu kaufen. Qualität wird unwichtig, da die Mode dafür konzipiert ist, sie nur für eine kurze Zeit zu tragen – man soll ja schnell wieder neue kaufen. Aber der Preis ist nicht das einzige Problem, leider kann der Konsument, wenn er teuer kauft, auch nicht sicher sein, dass sozialverträgliche Mode in der Einkaufstüte landet. Bekannte Marken und hohe Preise stellen mitnichten sicher, dass die Arbeitsbedingungen menschenfreundlich und die Kollektionen nach ökologischen Kriterien hergestellt wurden.

Slow Fashion

Der Gegenentwurf hierzu begründet sich in der „nachhaltigen“, „ecofairen“ oder „grünen“ Mode. Firmen, die darauf achten, dass die Kleidung sozialverträglich und nach ökologischen Kriterien produziert und welche Verantwortung für ihre Produkte übernommen wird.
Inzwischen versteht man unter ecofairer, grüner, nachhaltiger oder ethischer Mode Kleidung, die unter ökologischen und sozialen Kriterien produziert wird. Zu den ökologischen Kriterien gehören der biologische Anbau von Naturfasern, die Weiterverarbeitung mithilfe zugelassener Chemikalien, Umweltmanagement in den Fabriken sowie Recycling von Fasern oder anderen Stoffen zu Bekleidung. Zu den sozialen Kriterien zählen die Sicherheit, dass die ILO Kernarbeitsnormen entlang der gesamten Kette eingehalten werden und, je nach Zertifikat oder Organisation, weitere Aspekte. Transparenz ist ein wichtiger Bestandteil, um Vertrauen in die Branche zu bringen. Wer aus verschiedenen Gründen nicht zertifiziert ist, tut gut daran plausibel zu erklären, warum die Produkte ökologisch und/oder fair produziert wurden. Oftmals sind es die kleineren Firmen, die sich die Zertifizierung nicht leisten, aber beispielsweise mit sozialen Projekten zusammenarbeiten und dies offen kommunizieren. Fehlende Transparenz schafft Raum, um unliebsame Fakten unter der Decke zu halten. Je größer der Konzern, desto schwieriger ist der Faktor Transparenz umzusetzen, und es ist auch umso wichtiger, denn das Vertrauen in Großkonzerne ist wesentlich geringer als in kleinere Betriebe.
Abgesehen von der Produktion ist es natürlich interessant, das „System Mode“ als solches zu betrachten. Hier liegen die Gründe für die sozialen und ökologischen Probleme. Sie sind deshalb so gravierend, da immer größere Mengen zu immer günstigeren Preisen produziert werden. Das liegt zum einen am Konsumverhalten, zum anderen an der immensen Vorproduktion der Kollektionen, die nur zu einem Teil zu den ursprünglich kalkulierten Preisen an die Frau oder den Mann gebracht werden.
Zudem macht es die anonyme Produktion von Mode so leicht, die menschenunwürdigen Zustände in den Produktionsländern aus dem Bewusstsein auszuklammern. Viele Modekonsumenten wissen noch nicht einmal, dass Kleidung immer noch von Hand genäht wird. Es sind Menschen, die hinter den Nähmaschinen sitzen und jedes einzelne Kleidungsstück fertigen. Die wenigsten Arbeitsschritte sind technisiert und werden von Maschinen erledigt. Bei der Vielfalt der Stile, Farben und Schnitte lohnt es sich oft nicht, extra die Maschinen umzustellen und neu einzurichten, Handarbeit ist in vielen Fällen wesentlich flexibler und vor allem billiger.
Fängt man nun an, die Arbeitskräfte entlang der textilen Kette gerecht zu entlohnen und achtet auf hohe ökologische Standards, wird schnell klar, dass ecofaire Mode teurer als Discountware ist und sein muss. Wird Mode ausschließlich nach ökologischen und sozialen Standards produziert, steigen die Herstellungskosten. Da bei der Preiskalkulation von Mode der größte Teil in das Marketing der Kollektion fließt, könnte die Preiserhöhung in der Produktion mit einer Minderung des Vermarktungsbudgets kompensiert werden. So würde nicht der/die Kunde/in die Preiserhöhung tragen, sondern die Firma. Allerdings sind die Preise für Kleidung im Moment so niedrig, dass sie den eigentlichen Wert der Produkte nicht mehr widerspiegeln. Wäre Mode teurer, müsste man sich zwangsläufig besser überlegen, welche Teile man kauft, so dass wir uns nicht gedankenlos die Kleiderschränke mit Kleidung füllen, die wir nicht tragen. Wir würden weniger konsumieren und höhere Qualität erhalten.

Der erweiterte Qualitätsbegriff

In Bezug auf Kleidung bedeutet hohe Qualität den Einsatz von hochwertigen Materialien. Der Griff, die Beschaffenheit und Haltbarkeit sind Kriterien für Hochwertigkeit des Materials. Eine gute Verarbeitung der Kleidung, so dass sie lange getragen werden kann, gehört mit zum Qualitätsbegriff. Ein stimmiges Design und ein passender Schnitt sollten selbstverständlich sein. Der Aspekt der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ist im Qualitätsbegriff miteingeschlossen. Denn Stoffe, die Giftstoffe enthalten oder in deren Produktion schädliche Chemikalien eingesetzt wurden, können nicht von hoher Qualität sein, ebenso wenig wie Kleidung, die unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wurde. Die Designer, die qualitativ hochwertige Produkte entwickeln, erfüllen nicht nur alle Anforderungen an das Produkt, wie in Bezug auf Gestaltung, Qualität und Vermarktung, sondern sie machen sich darüber hinaus Gedanken, die Produktion so menschenfreundlich wie möglich zu gestalten. Das erhöht die Lebensqualität der Menschen, die in der Produktionskette arbeiten und in weniger verschmutzter Umwelt leben, sowie der Menschen, die saubere Produkte konsumieren.
Den Qualitätsaspekt der Nachhaltigkeit umzusetzen, erfordert Wissen und Recherche, also Zeit. Eine stimmige Gestaltung und gut sitzende Schnitte zu entwickeln, erfordern auch Zeit. Mehr Zeit in die Entwicklung von Produkten zu investieren erhöht deren Qualität. Gute Qualität zu konsumieren erhöht den Lebensstandard derer, die das Produkt hergestellt haben, sowie der Konsumenten und die Freude am Produkt.
Und um die Freude am Produkt geht es heute. In den Anfängen war grüne oder ethische Mode noch Ausdruck einer politischen Einstellung, die Pioniere der ecofairen Mode haben in erster Linie Kinder- und Babybekleidung entwickelt und vor allem die Materialien im Fokus gehabt. Sie haben die Entwicklungsarbeit geleistet und nach und nach die ökologischen Standards entwickelt. Sie engagierten sich für eine Veränderung der Produktionsabläufe und für ein Umdenken in der Mode. Die nachfolgende Generation von Firmen kann jeweils auf diese Standards aufbauen und sich dem Design widmen. Das Design, der Stil und die modische Ausrichtung stehen heute im Fokus. Die neue ecofaire Mode ist von der konventionellen Kleidung auf den ersten Blick nicht mehr zu unterscheiden. Die Designer/innen empfinden es als selbstverständlich, ihre Kollektionen ecofair zu produzieren. Sie haben nicht den Anspruch, dieses nach außen zu zeigen, manche der Labels kommunizieren noch nicht einmal ihr soziales oder ökologisches Engagement. (Wobei es zu Recht zu fragen gilt, warum die bloße Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards, die bei uns selbstverständlich sind, heute bereits als ethisch gilt.)

Kann Konsum die Welt verbessern

Die Wende von politischer Überzeugung und Engagement hin zu freudvollem Konsum der bevorzugt ecofairen Produkte entspricht den aktuellen Bedürfnissen. Man möchte sich in erster Linie modisch kleiden, denn heute ist es nicht mehr schick, politisch aktiv zu sein oder seine Überzeugung nach außen zu vertreten. In der heilen Konsumwelt möchte man Produkte mit gutem Gewissen konsumieren und damit die Welt ein Stück besser machen. Aber so einfach ist es leider nicht. Allein der Konsum von guten Produkten löst die ökologischen und sozialen Probleme der Modeproduktion nicht. Die Verantwortung, die Zustände zu verbessern, liegt bei den produzierenden Firmen und nicht zuletzt bei den Regierungen, entsprechende Gesetze zu erlassen und die Einhaltung dieser zu kontrollieren. Doch um Politik zu beeinflussen braucht es Menschen, die weiter denken als bis zum nächsten Produkt und sich politisch engagieren und einfordern, dass Produkte selbstverständlich gemäß ökologischen und sozialen Kriterien produziert werden – denn alle anderen sollten gar nicht auf dem Markt sein.
Bis es so weit ist, kann jedoch bewusster Konsum jene Firmen fördern, die ihrer Verantwortung gerecht werden und damit indirekt ethisches Handeln unterstützen. Insofern ist bewusster Konsum unbewusstem Konsum vorzuziehen. Wobei das Bewusstsein in erster Linie der Frage gelten sollte: Brauche ich dieses Produkt? Und in zweiter Linie der Frage der Auswahl des Produktes, hin zu höherer Qualität. Doch die Gründe, nachhaltige Produkte zu kaufen, liegen meistens in der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, um etwa sein Gewissen zu beruhigen, etwa in dem man glaubt, dass bei der Produktion wenigstens weder Menschen, Tiere noch die Umwelt geschädigt wurden, oder um ein hochwertiges Produkt zu erstehen und damit die eigene Lebensqualität und seine Freude daran zu erhöhen. Diese Motivation ist wenig altruistisch, wie es leider oft missverstanden wird. Allein der Akt des Kaufens macht uns nicht zu besseren Menschen, denn er ist der gleiche, ob nun ein nachhaltiges Produkt erworben wird oder ein anderes. Bewusster Konsum kann aber dazu beitragen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern – der Menschen in der Produktion sowie der Konsumenten, die höhere Qualität erleben.
Allerdings reicht Konsum alleine nicht aus, das gute Leben umzusetzen. Um die Lebensqualität für alle zu erhöhen, ist Zeit ein wichtiger Faktor und Schlüssel. Zeit zum Umdenken, Fehler zu erkennen und zu korrigieren; Zeit, um neue Ideen zu generieren und Innovationen zu entwickeln, um eine gerechtere globale Gesellschaft zu bilden; Zeit für gesellschaftliches und politisches Engagement, und nicht zuletzt braucht es Zeit, um Kultur zu schaffen, welche einen großen Teil gesellschaftlichen Reichtums ausmacht.
Heutzutage ist Zeit in unserer Gesellschaft zum Luxusgut geworden. Den Luxusbegriff zeitgemäß und modern zu verstehen, bedeutet weg vom Besitzen zu denken, hin zum Sein; weg vom übermäßigem Konsum, für den wir einen Großteil unserer Zeit vergeuden, hin zu Zeit für andere Werte, Lebensqualität, Freude und Muße.

DETAILS:Erschienen in: „Arkadien oder Dschungelcamp, Leben im Einklang oder im Kampf mit der Natur?“ Hrsg. Robert Pfaller, Klaus Kufeld, Verlag Karl Alber, 2014